Molukkische Jugendliche überfallen Zug und Grundschule
Von Matthias Bertsch |
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Die Molukken dienten einst brav ihren Kolonialherren als Soldaten und immigrierten sogar in deren Heimat, die Niederlande. Jahrzehnte später begehren junge Molukken-Männer mit drastischen Mitteln auf - und zwingen die niederländische Regierung, die Armee gegen sie einzusetzen.
"Mit einem Überraschungsangriff hat heute am frühen Morgen das niederländische Militär die Geiselnahme von Assen und Bovensmilde beendet."
Am Morgen des 11. Juni 1977 endete für zahlreiche Kinder und Erwachsene in den Niederlanden ein Albtraum. Knapp drei Wochen zuvor, am 23. Mai, hatten 13 junge Molukker zeitgleich einen Intercity und eine Grundschule in ihre Gewalt gebracht. Ihre Forderungen: die Freilassung ihrer inhaftierten Gesinnungsgenossen und die Unterstützung ihres Kampfes für einen eigenen Staat in Indonesien.
Die Regierung ihrerseits machte die Freilassung aller Schüler zur Bedingung von Verhandlungen. Je länger die Situation dauerte, um so mehr drohte sie zu eskalieren, zumal die Entführer des Intercitys immer wieder Geiseln mit einem Strick um den Hals für kurze Zeit aus dem Zug ließen, um anzudeuten, dass sie zu allem bereit seien.
Als schließlich das Wasser im Zug knapp wurde und sich die Entführer weigerten, neue Lebensmittel für die Geiseln entgegenzunehmen, beschloss die Regierung den Einsatz des Militärs.
"Zwei Geiseln aus dem Zug und sechs Terroristen wurden getötet und ohne Blutvergießen verlief die Befreiung der Schule in Bovensmilde."
Die beiden Geiselnahmen waren der Höhepunkt einer Reihe terroristischer Aktionen, mit denen die Molukker die Niederlande an einen verdrängten Teil ihrer Kolonialgeschichte erinnerten.
Die Molukker nahmen früh den christlichen Glauben an
Die Molukker, Bewohner einer Inselgruppe im indonesischen Archipel, hatten bereits im 17. Jahrhundert den protestantischen Glauben der niederländischen Kolonialherren angenommen und sich als loyale Soldaten erwiesen. Als Indonesien 1949 unabhängig wurde, sahen auch sie ihre Chance gekommen und riefen die Republik der Südmolukken aus.
Doch die indonesische Zentralregierung war nicht bereit, das Territorium zu teilen und bekämpfte die Unabhängigkeitsbestrebungen. Für die abziehende Kolonialmacht hieß das: Wir nehmen die molukkischen Soldaten vorübergehend mit.
"Und da haben wirklich 99 % dieser 4000 Soldaten gesagt: Ja, wir vertrauen den Niederlanden, denen wir treu gedient haben, und wir gehen in die Niederlande, weil: Man hat uns gesagt, das ist nur zeitlich befristet, bis das alles geregelt ist in Indonesien, bis wir dort unseren eigenen Staat haben - und sind daher 1951, samt Familien, insgesamt knapp 13.000 Personen, per Schiff dann in die Niederlande gebracht worden von Java aus."
Untergebracht in Baracken und Lagern
Untergebracht wurden die Familien in Baracken und Lagern, eine Integration in die niederländische Gesellschaft war von beiden Seiten nicht gewünscht, betont Frederic Arntz, der ein Buch über die Geschichte der Molukker in den Niederlanden geschrieben hat.
Mit den Jahren wurde eine Rückkehr nach Indonesien zwar immer unwahrscheinlicher, doch die ältere Generation der Molluker hielt an ihrem Traum fest. Erst ihre Kinder, die in öffentliche Schulen gingen und dadurch viel Kontakt mit der Mehrheitsgesellschaft hatten, fingen an, die Situation in Frage zu stellen.
"Man muss bedenken, die erste Generation war den Niederlanden sehr treu, das waren treue Militärs, die auf Befehle gehört haben. Deshalb waren das nicht diejenigen, die so stark aufbegehrt haben, aber die zweite Generation, die dann erlebt hat, wie frei man sich eigentlich äußern kann, so wie es in den Niederlanden auch damals schon ja der Fall war, und dann erlebt haben, wie frustriert und traurig ihre Eltern waren, das ist etwas, das wurde ganz, ganz stark übertragen."
Enttäuscht von der Gesellschaft und dem Schweigen der Eltern
Von der niederländischen Gesellschaft – und dem Schweigen ihrer Eltern – enttäuscht, begannen die jungen Molukker, die Republik der Südmolukken zu idealisieren. Dass der indonesische Präsident Suharto 1970 in den Niederlanden als Staatsgast empfangen wurde, brachte das Fass zum Überlaufen.
Nach den Geiselnahmen durch molukkische Terroristen sichern niederländische Polizeikräfte Verkehrsknotenpunkte, wie hier nahe Groningen© imago stock&people
"Das hat dann einfach dazu geführt, dass man gesagt hat, ja wir müssen immer krasser reagieren, weil, und das ist eigentlich Kern der Sache, die niederländische Regierung die Problematik der Molukker überhaupt nicht ernst genommen hat. Das ist einer der großen Kritikpunkte in diesem Spannungsfeld in den siebziger Jahren, das also erst nach 1977, also als im Grunde all diese ganzen Zugentführung, Geiselnahmen und Brandanschläge waren, die Niederländer verstanden haben, die niederländische Regierung verstanden hat: Wir müssen handeln. Wir müssen uns mit den Molukkern nicht nur einigen, sondern wir müssen ihnen eine Zukunft in den Niederlanden bieten, und wir müssen sie integrieren."
Ende der 1970er-Jahre wurde die "Molukkersnota" verabschiedet, ein Programm zur Förderung der Molluker in den Bereichen Bildung und Arbeit. Doch die wirtschaftliche Situation der Minderheit ist nach wie vor schwierig: Die meisten der inzwischen rund 45.000 Molluker in den Niederlanden arbeiten in Branchen, die in Krisenzeiten schnell Mitarbeiter entlassen.
Und so träumen heute wieder mehr Molluker von ihrer "alten Heimat" auf dem indonesischen Archipel als vor 20 Jahren.